Übergangszeiten

Der kalte Winter ist vorbei, könnte man meinen. Die letzten Tage erwärmten mit zarten Sonnenstrahlen unser Gemüt. Sie lassen einen richtig aufblühen. Ein Hauch von Frühlingsgefühlen liegt in der Luft. Die Winterschuhe stehen in der Ecke und die Übergangsjacken werden aus dem Schrank geholt.

 

Und doch wissen wir in unserem tiefsten Inneren, dass er noch nicht vorbei ist, der Winter. Schon nächste Woche könnte es wieder schneien. Der Frühling ist eben noch nicht da.

All die Gedanken über diese erste wärmende und aufmunternde Zeit kamen mir heute, als ich im Wald joggen war. Ich lief am Waldrand entlang in der vollen Sonne und hab sie richtig aufgesaugt, diese Wärme. Es war so herrlich schön! So kann es weitergehen! Dann kam ich in einen Abschnitt des Waldes, der im Schatten lag. Dort war es noch richtig Winter, alles war gefroren und es war eisig kalt. Ich sehnte mich dem nächsten sonnigen Abschnitt entgegen, genoss dann wieder eine Weile die Sonne, bis wieder ein schattiger Winterabschnitt kam. Ich finde es beeindruckend, wie die Natur bestimmte Lebensabschnitte oder Lebensphasen widerspiegelt.

 

In meinem letzten Blogeintrag hab ich über das „Let it be“ – das Annehmen oder Geschehen lassen der Stille geschrieben. Diese ersten Sonnenstrahlen verbinde ich nun mit dem langsamen Erwachen. Ist es nicht so, dass wir das auch oft so erleben, diesen Hauch von Frühling in unserer Gefühlswelt, mit Kälteeinbrüchen oder Winterabschnitten, bevor dann der richtige Frühling kommt?! Ich hab mal bisschen meine Gedanken spielen lassen, was so alles auftaucht zum Wort Übergang. Das erste war die berühmte Übergangsjacke. Die Jacke, die zum Einsatz kommt, wenn die Winterjacke zu warm wird und es (mit) ohne Jacke noch zu kalt ist.

 

Übergangslösung. Auch ein Wort, das ich öfter höre. Für mich ist das die Situation vor der eigentlichen Lösung. Das Alte nicht mehr gewollt oder nicht mehr da und das Neue noch nicht gefunden. Oder die Lösung, die man im Augenblick hat ist eben auch noch nicht ganz das Wahre. Und irgendwann hat man es dann und man weiß plötzlich: „Ah ok, das davor war nur eine Zwischenlösung“. Manchmal weiß man das auch von vorne herein, dass es nur eine Zwischenlösung ist, auch wenn man es nicht immer wahrhaben will. Übergangsjob, Übergangsauto, Übergangsbeziehung… Es gibt wohl unzählige Übergänge.

Wo meine Gedanken allerdings hängen geblieben sind, war bei dem Wort In-between. Das beschreibt es für mich am besten, diese Zeit zwischen dem Alten und dem Neuen. Jeder von uns hatte wohl schon schwierige Zeiten, z.B. Verluste zu ertragen. Anfangs ist tiefster Schmerz. Man sieht auch nur alles um diesen Schmerz. Wie der Frühling ist oder dass er wieder kommt irgendwann, kann man sich zu diesem Zeitpunkt gar nicht vorstellen. Es ist eisigster Winter.

Dann tauchen irgendwann in diesem Gefühlswinter ein paar Sonnenstrahlen auf. So ein kleines Aufatmen in der schwierigen Zeit, aber es ist und bleibt erst mal noch Winter. Bis dann wirklich mal ein paar Tage die Sonne rauskommt, so wie jetzt gerade.

Die Lebensfreude kehrt zurück! Voller Tatendrang beginnen wir neue Projekte. Doch dies ist auch eine gefährliche Zeit. Man ist versucht, ohne Jacke rauszugehen. Wenn man dann in ein schattiges Stück Weg kommt, verkühlt man sich schnell und ist wieder außer Gefecht. Doch wenn man achtsam mit sich umgeht und bedenkt, dass zwar im Moment Sonne da ist, es später aber auch wieder kühl werden kann, dann wird man von dieser Kälte nicht so überrascht. Man ist gerüstet und hat für den Notfall seine Übergangsjacke dabei.

 

In der Traumaarbeit (wobei ich Trauma als ein belastendes Ereignis definiere) lernen die Kinder ihre Übergangsjacke rechtzeitig rauszuholen und v.a. die Achtsamkeit, sie immer dabei zu haben, solange der Frühling noch nicht offiziell eingeläutet ist. Der nächste Schritt im Prozess ist, dass man, wenn man ein paar sonnige Abschnitte durchlaufen hat, zum einen die kalten Phasen besser ertragen kann, weil man weiß, dass sie vorübergehen und zum anderen empfindet man diese als nicht mehr so intensiv. Das liegt daran, dass das Vertrauen, dass die sonnigen Abschnitte kommen werden, wächst und dass das Wissen um die Übergangsjacke einen sehr beruhigt.

 

Der nächste Abschnitt in einem Verarbeitungsprozess ist wohl am besten durch meinen nächsten Waldabschnitt zu beschreiben. Ich lief in der Kälte, hatte bereits ein paar Mal Sonne hinter mir und diesmal sah ich auf der anderen Seite, da wo ich hin wollte, schon die Sonne durch die Bäume, wie sie den Boden berührte. Ich war in der Kälte und wusste auch, dass es noch eine Weile dauern würde, bis ich bei dem sonnigen Stück angelangen werde, aber ich hatte ein Ziel und ich hatte es vor Augen. Ich lief wörtlich in das Licht.

 

Der nächste Waldabschnitt war dann genau anders herum. Viele längere Sonnenabschnitte mit ein paar kürzeren, gefrorenen Abschnitten. Im Prozess heißt das, dass es eigentlich schon wieder ganz gut läuft, man jedoch noch hin und wieder von Trauer und Schmerz heimgesucht wird. Aber man hat ja „Gott sei Dank“ die Übergangsjacke!

 

Der letzte Abschnitt eines solchen Prozesses wurde mir dann auf den letzten Metern meines Laufes deutlich vor Augen geführt. Ich lief in der Sonne, samt Jacke und Handschuhen. Es wurde mir zu heiß. Die Freude in der Sonne zu laufen wurde durch das „eingepackt sein“ anstrengend. Also zog ich erst einmal die Handschuhe aus und ich dachte mir, dass dies dann wohl der Zeitpunkt ist, in dem man weiß, dass man die Übergangsjacke nicht mehr braucht, sie jetzt vielleicht sogar nur unnötiger Ballast ist. Die Vorsichtsmaßnahmen sind jetzt übertrieben und vielleicht sogar zu viel des Guten. Also weg damit!

 

Die Lösung vor der Lösung. Auch dieser Satz bekommt nun eine ganz andere Bedeutung. Weg mit dem Ballast- man löst sich von dem Geschehenen. Dann läuft man und auf einmal fühlt man sich wieder ganz leicht, kommt viel besser voran. Dann ist Frühling und auch wenn es mal Regen gibt, weiß man, dass der Winter vorbei ist.

Eine weitere Zeit des In-between, die sich in diesem Naturzyklus wiedererkennen lässt, ist die Pubertät. Doch dazu will ich jetzt nicht mehr viel sagen außer: Liebe Eltern, genießt die sonnigen Abschnitte, vergesst eure Übergangsjacken nicht und denkt immer daran: Die sonnigen Abschnitte werden stetig mehr und irgendwann ist der Frühling da :-)

 

 

 

Eure Sonja